VOTIV-REALISMUS - MORGEN IM ABENDLAND
Die Entfremdung, eine Welt
von Assoziationen aufrufend, ist bestimmend für das Werk des Utrechter
Bildhauers Wim van Tol (1947).
Er ist zu Gast im Amsterdammer
Allard Pierson Museum. Im Saal des archeologischen Museums der Universität
in Amsterdam zeigte er eine Sammlung seiner archeologischen Skulpturen.
Seine Werke lassen einen inneren Zusammenhang erkennen:
Sie sind Teil einer Kultur, die der Künstler im Abendland ansiedelt
-
ansonsten ist es dem Besucher selbst überlassen, sie einzuordenen
und zu deuten - sofern er sich dazu gerufen fühlt :
Figurative Formen und abstrakte Elemente zeigen sich in einem logischen
Zusammenhang.
Morgen im Abendland
gab er seiner Welt, seiner Zuordnung als übergeordnetes Thema mit.
Gefährlich-große Lanzen - als Modell zunächst fremdartig,
jedoch deutlich als solche erkennbar, sind Zeugnisse einer sichtbar ur-alten
Kultur.
Der breite Schaft der Waffen ist umwickelt, das Ganze mit technischer
Meisterschaft in kühlen, weißen Stein geschlagen.
Hundsköpfige Tierwesen, menschliche Schädel mit immer mehr Umwicklungen.
Eine Zivilisation aus Stein kommt zum Vorschein : als Mumien eingehüllte
Bündel, von denen die Konturen etwas vom ihrem Inhalt erahnen lassen.
Wie alt mögen diese Bilder wohl sein? Gehören sie wirklich in
ein Museum für alte Kulturen?
Humanoïden
Die Höhe des vorderen Kopfes eines steinernen Schädels ist besonders
bemerkenswert, die Augenhöhlen sind tief und schwer gewölbt.
Sind dies wirklich menschliche Züge ? Eher scheinen sie verwandt
mit menschartigen Wesen, den Humanoïden.
Auch scheinen einige steinerne Porträts dies auszudrücken, durch
nichts zu durchgründen sind ihre Gesichtsausdrücke.
Wo diese Wesen herkommen, regiert ein anders System, herrschen andere
Gottheiten und Normen.
Runen
Runen-artige Hieroglyphen sind auf der glatten Oberfläche einer Skulptur
eingebettet, mumienhafte Elemente lassen an Ägypten denken. Diese
uns vorgegebene Kultur entsteigt einer ur-alten, komplexen Vergangenheit
und lebt - wie alle Kulturen - aus einer tiefverwurzelten Urzeit.
Mumien
Angekettet an schwere, glatte Stücke von Stein wird die Welt des
Wim van Tol von gevangenenen Kriegermumien und von unbekannt-geheimnisvollen
Tier-Wesen bevölkert. Der Krieger trägt sein Vizier geschlossen
- so wie wie er sich selbst gibt - als undurchdringliche Humanoïden
und Tierwesen.
Diese geheimnisvolle Zivilisation wird bewacht von einer Gruppe aus schwarzem
Stein geschaffenen, in sich gerollter, aber wachsamer Tiere:
Wächter
Sie, diese geheimnisumwitterten Wächter, sind doch sicher nicht die
Schärfsten, denn ihre glatte Haut fragt um ein Streicheln. Diese
Deutungen sind nicht mehr als ein Gefühl, wie auch die Porträts
unmittelbar über ihre Art und Herkunft zum Nachdenken zwingen. Als
abstrakte Form entsteht ein großer, flacher Diskus, der in zwei
Teile zerbrochen ist. Die beiden Hälften sind mit Klammern miteinander
verbunden, ihre Verbindung nach dem Auseinanderbrechen ist ungleich wichtiger
als die so deutlich sichtbare Reparatur. Van Tol spricht in diesem Zusammenhang
von einer
"Tafel des wiederhergestellten Verbundes".
Votiv-Realismus
Das Werk ist besonders anspruchsvoll, und dies liegt seiner Ausbildung
an der Bildhauerakademie zugrunde. Die vielfältigen Möglichkeiten
der Gesteinsarten werden eindrucksvoll genutzt, aber diese Perfektion
ist nur ein Gestaltungsmittel für seinen Votivrealismus, wie Wim
van Tol ihn versteht. Seine Skulpturen sind die an die Götter geweihten
Objekte, die in Wim van Tol's imaginärer Kultur eine glückvolle
Zukunft garantieren sollen. Hierzu gehören auch die verschlossenen
Türe aus Stein. Die technische Perfektion ist dabei fast selbstverständlich:
denn das ist doch das Mindeste, was die Götter fordern können!
Diese Bilder sind Zeugnisse eines Kontaktes mit den Mächten, die
das Unerklärliche beherrschen. Sie wenden das Schicksal, machen die
Angst vor dem Tode annehmbar und sind - vielleicht - Zeichen der Dankbarkeit.
Wim van Tol hat als
Künstler das Risiko auf sich genommen, mit den alten Kulturen zu
spielen, ohne sich in archeologische Wahnvorstellungen zu verlieren. Für
ihn sind archeologische Bruchstücke - wie für viele andere -
am allerwenigsten stumme Reste einer vergangenen Kultur.
Für Wim van Tol müssen sie mit derselben Intention betrachtet
werden wie die Äusserungen der gegenwärtigen Kunst - in welcher
Form auch immer.
Dr. R.A. Lunsingh Scheurleer
.
Konservator des Allard Pierson Museums - Amsterdam
Translation and interpretation
from an original Dutch script by: Viktor &Tony - Burgt Odenhausen
Translators / Germany
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